Lustiges Märchen Gemecker

In der Zwergengasse Nr. 21 ist der Teufel los. Schneewittchen schreit und tobt, dass die Dachziegeln zittern.
Ein Kessel zerschmettert das Fensterglas. Es fliegen fünf schlammige Stiefel hinterher, die mit hundert km/h auf der Straße landen. Zwischendurch sind Wortfetzen wie „alles dreckig...keiner räumt auf...halten mich für selbstverständlich...sieht aus wie im Schweinestall...“ zu hören. Die Zwerge ergreifen die Flucht, und rennen was die kleinen Beinchen hergeben.
Schneewittchen setzt sich erschöpft und frustriert auf den Esszimmertisch. Ihr hübsches Gesicht sieht im Moment mit Rotznase und den roten, verquollenen Augen nicht mehr ganz Topmodell mäßig aus. Sie nimmt ihre Schürze und schnaubt wie ein Bauarbeiter in den Blümchenstoff. Sie hat genug. Fühlt sich ausgenutzt. Plötzlich richtet sie sich auf.


Heute ist Mittwoch. Mittwochs ist im Rathaus immer der allgemeine Anhörungstag. An diesem Tag darf jeder Einwohner von Fantastica seinen Ärger und Beschwerden vortragen. Dann wird vom Obersten Rat entschieden, was und wie man helfen kann. Ja, das war die Lösung. Schneewittchen tauscht ihre Schürze gegen eine weniger versiffte ein, schnürt sich den Push-Up BH um und trägt demonstrativ einen feuerroten Lippenstift auf. Dann trippelt sie zum Rathaus.


Sie ist nicht die einzige, die sich beschweren möchte. In Fantastica sind die Straßen brechend voll. Auf dem Marktplatz demonstrieren der Froschkönig und Böse Wolf für mehr Tierrechte. Daneben versucht Pippi Langstrumpf die Passanten für ein Gesetz „Volljährigkeit ab Elf“ zu begeistern. Sie verteilt Flyer und Süßigkeiten. Am anderen Ende ist eine kleine Gruppe von Händlern, die magische Diäten, giftige Kochbücher und sprechende Früchte anbieten. Schneewittchen würde liebend gerne zu den Ständen gehen, aber ihr Zorn brodelt immer noch kochend und heiß. Also marschiert sie noch deprimierter, noch frustrierter weiter. Kurz vor ihrem Ziel kracht sie mit Batman zusammen. Er entschuldigt sich und klopft ihr Kleid sauber. Unnötigerweise etwas zu lange. Verdächtig nahe an ihrem Dekolletee. Dann nuschelt er etwas hinter seiner Maske.


Sie schlägt seine Hand weg und wirft einen bösen Blicke auf die alberne Plastikmaske. Der Comic Held nuschelt etwas lauter „Gehen sie auch zur Anhörung?“ „Ja, die sieben Zwerge bringen mich noch um den Verstand. Jeden Tag...“ doch sie wird unterbrochen. Die heldenhafte möchte gern Fledermaus hört ihr gar nicht zu, sondern plappert wie selbstverständlich weiter „Jajajajaja, verstehe ich. Aber finden sie nicht auch, dass es zu viele Ampeln gibt? Und dann noch immer das Rechtsvorlinks. Wie soll man da rechtzeitig jemanden retten? Die müssen endlich mal was gegen das Tempolimit machen.“ Dann verpufft er theatralisch.  

Zehn Minuten später ist das Ziel erreicht. Schneewittchen betritt das Rathaus von Fantastica und geht in den ersten Stock. Die „Halle der Entscheidungen“ ist zum Platzen gefüllt ist. Aber sie erspäht den letzten freien Platz auf einer Seitenbank. Mit spitzen Ellbogen schubst sie einen stöhnenden Zombie zu Seite und mit einem Fußtritt kickte sie den Däumling unter die Bank. Dann quetscht sie sich zwischen Hänsel und Gretel.
Am Ende der Halle thronen die „Weisen Fünf“. In der Mitte das Oberhaupt, der Big-Boss von Fantastica. Santa Claus. Seine engsten Mitarbeiter lümmeln gelangweilt neben ihm. Zu seiner Linken kauert Dracula. Er ist für die Rechte der bekehrten Bösewichte und Monster zuständig. Harry Potter für Kinder. Er hält fünf Meter Abstand zu seinem Kollegen, da dieser von einer Knoblauchwolke umhüllt ist. Die Anti-Vampir Fraktion lauert jeden Tag vor dem Rathaus und besprüht den armen Kerl mit einer intensiven Anti-Dracula-Lotion. Auf der rechten Seite vertritt der gestiefelte Kater die Tierrechte und dann steht da noch ein luxuriöser, gigantischer Whirpool. In dem plantscht die Meerjungfrau. Sie ist für die Frauenquote verantwortlich, eigentlich. Ihr knapper Bikini bekommt mehr Aufmerksamkeit, als alle anderen Fälle zusammen.


Ein Leidtragender nach dem Anderen erhebt sich und trägt sein Anliegen vor. Gerade ist der fette, grüne Hulk an der Reihe. „Ich bestehe auch eine Bezuschussung für meine Kleidung. Ich brauche jede Woche neue Shirts und Hosen. Wie soll ich denn das bezahlen?“
Dracula kritzelt etwas in sein Buch und nickt. Santa Claus winkt den Nächsten heran.  Und den Nächsten. Die Klagen nehmen kein Ende.
Zwerg Nase pocht darauf, dass die Krankenkasse seine Nasen-OP bezahlt, Rapunzel argumentiert für einen Rabatt beim Friseur, der Zombie von vorhin bittet äußerst höflich um eine Resozialisierung in der Gemeinde und Balu der Bär beantragt eine Adoption, da er Mogli so vermissen würde.
Dann ist Schneewittchen an die Reihe. „ Ich habe für sieben Kerle zu sorgen. Ich schmeiße den ganzen Haushalt. Bin eine superbe Köchin. Aber sie behandeln mich wie eine Sklavin. Treten niemals ihre verschlammten Stiefel ab, benutzen kein Deo, schmeißen die Arbeitskleidung auf den Boden, bestimmen über das Fernsehprogramm und der Klodeckel wir auch immer oben gelassen! Ich beantrage eine Haushaltshilfe.“
Santa Claus errötet. Wird rot. Dann dunkelrot. Leuchtet greller, als seine Uniform. Er beugt sich zu Harry Potter und flüstert ihm etwas ins Ohr. Harry zückt seinen Zauberstab, zielt auf die Menge und murmelt „Sagtnix, Machtnix, fidibumm“. Mit einem Mal ist es still. Jede Stimme, Räuspern und das Gejohle zur Meerjungfrau sind futsch. Der Big-Boss grinst zufrieden und erhebt sich. 

„Meine lieben Bewohner von Fantastica. Ich schenke euch jeden Mittwoch meine Aufmerksamkeit. Meine Geduld. Aber langsam frage ich mich nach eurem Verstand. Seht ihr nicht, wie gut es euch geht?!“ Er schnauft, kratzt sich am Kopf, dann den Bauch, dann im Schritt. Die Menge im Saal glotzt. Augen und Münder offen, aber es bleibt still.
„Ihr motzt auf hohem Niveau. Seid verwöhnt. Hulk, reg dich einfach nicht jedes mal auf, wenn dein Lieblingsverein verliert.“ Santa hebt den Zeigefinger und fixiert Zwerg Nase. „Du solltest lernen, dass es nicht auf Äußerlichkeiten ankommt, oder rauch' weniger und spare das Geld. Rapunzel, schnippel dir endlich diese Mähne ab. Jedes mal, wenn du dir die Haare wäschst, ist die Kanalisation verstopft. Außerdem ist in dieser Saison ein frecher Kurzhaarschnitt angesagt“, bei diesem Vorschlag verschluckt sich die Meerjungfrau an den Seifenblasen.
„Und der faulende Neuzugang,  ja genau du, sollte etwas mehr auf seine Zahnhygiene achten, dann klappt es auch mit den Nachbarn. Balu! Hör auf zu jammern und lass endlich deine Verlassensängste therapieren.“ Er stampft wütend auf Schneewittchen zu.


„Habe ich mich jemals beschwert, dass die Kamine rußig, schmierig und eklig sind? Fräulein, denkst du wirklich, ich wüsste nicht, dass dich die Zwerge mit Diamanten überschütten? Dass du alles bekommst, was du willst? Geht! Kommt nicht mehr zurück! Außer, wenn etwas Tragisches mit Frodo im Auenland passiert ist.“ Er nickt zu Harry und nach einem zweiten „fidibumm“ können alle Besucher wieder sprechen.
Aber sie wollen nicht. Sind beschämt und reumütig. Zwerg Nase vergeht der Appetit auf den Glimmstengel. Hulk wechselt die Fußballmannschaft. Rapunzel kauft sich die neuesten Modezeitschriften und der Zombie macht einen Termin beim Zahnarzt.
Schneewittchen trottet zurück nach Hause und verdaut die Standpauke. Zuerst spuken ihr Beschimpfungen im Kopf wie greiser, alter Sack, weiß eh nichts, soll es mal selber machen. Aber als sie Abends vor der Zwergengasse Nr. 21 steht, das zerbrochene Fenster reumütig betrachtet, die fröhlichen Stimmen hört und ihre treuen Gefährten sieht (inklusive der vielen Edelsteine, die sie an diesem Tag geschürft haben), ist sie glücklich. 

 

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